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Rechtsstand:

BAG-Urteil: Mindestlohn trotzt Ausschlussfrist!

Ausschlussfrist erfasst nicht den Mindestlohn!


Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs kann in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden.

Hierzu führte das Gericht aus:

Die Ausschlussfristenregelung des § 14 Nr. 1 BRTV-Bau (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe) ist insoweit unwirksam, als sie die Geltendmachung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindestlohn beschränkt, § 3 Satz 1 MiLoG (Mindestlohngesetz).

Das hat der Senat für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) bereits entschieden (BAG, 20.06.2018 – Az: 5 AZR 377/17; zur Teilunwirksamkeit einer tariflichen Verfallfrist, die den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnimmt vgl. auch BAG, 23.01.2019 – Az: 4 AZR 541/17; BAG, 27.10.2020 – Az: 9 AZR 531/19; zur Unverfallbarkeit des Anspruchs auf Entgeltzahlung an Feiertagen in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns sh. BAG, 30.01.2019 – Az: 5 AZR 43/18).

Für den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gilt nichts Anderes.

§ 3 Satz 1 MiLoG erfasst unmittelbar nur den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit. § 615 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) erhält jedoch dem Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum den Vergütungsanspruch aus § 611a Abs. 2 BGB aufrecht, es gilt das Lohnausfallprinzip mit der Folge, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich so zu stellen ist, als hätte er gearbeitet.

Dies verlangt, den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG als Geldfaktor in die Berechnung der Annahmeverzugsvergütung einzustellen, soweit nicht aus anderen Rechtsgründen ein höherer Vergütungsanspruch besteht. Denn anderenfalls stünde der Arbeitnehmer entgegen dem Gesetzesbefehl des § 615 Satz 1 BGB schlechter als er bei tatsächlicher Arbeit gestanden hätte. In diesem Falle hätte er – unbeschadet von Ausschlussfristen – jedenfalls den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Seit dem 1. Januar 2015 kann deshalb der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer tariflichen (oder sonstigen) Ausschlussfrist nicht mehr unterworfen werden.

Dem stehen weder die Abdingbarkeit des § 615 BGB noch die „Anrechnungsvorschriften“ des § 615 Satz 2 BGB und § 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) entgegen.

§ 615 BGB ist grundsätzlich abdingbar mit der Folge, dass ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nicht entsteht. Daraus folgt aber lediglich, dass ein solcher auch nicht in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entstehen kann. Ist die Abbedingung des § 615 BGB wirksam einzel- oder tarifvertraglich vereinbart, ist der Arbeitnehmer gerade nicht so zu stellen, als hätte er gearbeitet.

Ist § 615 BGB jedoch nicht wirksam abbedungen, muss der Arbeitnehmer so gestellt werden, als hätte er gearbeitet. Dann hätte er im Verzugszeitraum auch Anspruch auf Entgelt jedenfalls in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gehabt mit der Folge, dass § 3 Satz 1 MiLoG zur Anwendung kommt.

Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Abbedingung des § 615 BGB auch im Falle einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung wirksam sein kann, oder ob damit nicht der gesetzliche Kündigungsschutz unterlaufen werden würde, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Im Streitfall ist § 615 BGB weder arbeitsvertraglich noch durch den BRTV-Bau abbedungen.

Muss sich der Arbeitnehmer nach § 615 Satz 2 BGB oder § 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG tatsächlich erzielten oder böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst „anrechnen“ lassen, hindert dies bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs und führt nicht nur zu einer Aufrechnungslage.

Entsteht danach der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs überhaupt nicht, kann er auch nicht – entgegen der Befürchtung der Revision – contra legem in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns bestehen. Entsteht er wegen der „Anrechnung“ in geringerer Höhe als der vertragliche Vergütungsanspruch, besteht kein Grund, den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nicht bis zur Höhe des gesetzlichen Mindestlohns vor Verfallfristen zu sichern. Denn hätte der Arbeitnehmer bei dem sich im Annahmeverzug befindlichen Arbeitgeber arbeiten dürfen, hätte er jedenfalls den gesetzlichen Mindestlohn erhalten.

BAG, 13.07.2022 – Az: 5 AZR 498/21