Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung von Praktikantinnen
Schwere Pflichtverletzung führt zur Kündigung
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat in einem Urteil vom 20. Juni 2022 (Az: 12 Sa 434/21) entschieden, dass wiederholte sexuelle Übergriffe gegenüber Praktikantinnen die fristlose Kündigung eines langjährigen Mitarbeiters rechtfertigen können. Dies gilt auch dann, wenn zuvor keine Abmahnung erfolgte.
Missbrauch der Machtposition verstärkt Pflichtverstoß
Besonders schwer wiegt der Pflichtverstoß, wenn der Täter seine Position im Unternehmen ausnutzt, um die Übergriffe zu ermöglichen oder deren Duldung zu erzwingen. In diesem Fall nutzte der Arbeitnehmer seine Befähigung, Arbeitszeugnisse zu erstellen, um Druck auf die Praktikantinnen auszuüben.
Rechtliche Einordnung sexueller Belästigung
Das Gericht stellte klar, dass sexuelle Belästigung gemäß § 3 Abs. 4 in Verbindung mit § 7 Abs. 3 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) eine schwerwiegende Verletzung der vertraglichen Pflichten darstellt. Diese ist nach § 626 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) grundsätzlich ein ausreichender Grund für eine fristlose Kündigung. Sexuelle Belästigung bezeichnet jedes sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde der betroffenen Person angreift und ihre sexuelle Selbstbestimmung verletzt, einschließlich Kommentaren sexuellen Inhalts oder körperlichen Berührungen.
Schutz der sexuellen Selbstbestimmung
Die sexuelle Selbstbestimmung, geschützt durch § 7 Abs. 3 und § 3 Abs. 4 AGG, ist eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Grundgesetz). Jede Person hat das Recht, über die Einbeziehung in sexuell geprägte Handlungen zu entscheiden.
Objektive Erkennbarkeit der Unerwünschtheit
Entscheidend für die Beurteilung einer sexuellen Belästigung ist die objektive Erkennbarkeit der Unerwünschtheit des Verhaltens, nicht die aktive Zurückweisung durch die betroffene Person. Auch einmalige sexuelle Handlungen können unter diesen Schutz fallen.
Fazit für Arbeitnehmer und Interessierte
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen verdeutlicht die Ernsthaftigkeit, mit der Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz behandelt werden. Arbeitnehmer müssen sich ihrer Rechte und Pflichten bewusst sein. Arbeitgeber sind angehalten, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei von Belästigung ist und in dem der Schutz der persönlichen Integrität gewährleistet wird. Bei Verstößen sind sie berechtigt, auch ohne vorherige Abmahnung, fristlose Kündigungen auszusprechen.