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Rechtsstand:

Arbeitgeber patzt: Kündigung ohne bEM!

Sozial ungerechtfertigte Kündigung, wenn das bEM (betriebliche Eingliederungsmanagement) nicht durchgeführt wurde …
Eine Kündigung erweist sich in der dritten Prüfungsstufe der Interessenabwägung als unverhältnismäßig und damit als sozial ungerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 2 KSchG (Kündigungsschutzgesetz), wenn der Arbeitgeber ein ordnungsgemäßes bEM nicht durchgeführt hat und dessen objektive Nutzlosigkeit nicht feststellbar ist. Die Kündigung ist daher gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.

Hierzu führte das Gericht aus:

Im Rahmen der vom Arbeitsgericht zutreffend dargestellten dreistufigen Prüfung entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, 23.01.2014 – Az: 2 AZR 582/13) ist in den ersten beiden Prüfungsstufen sowohl von einer negativen Gesundheitsprognose als auch vom Vorliegen erheblicher betrieblicher Beeinträchtigungen der Beklagten durch die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers auszugehen. Durch seine erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten seit dem Jahr 2015 ist eine negative Gesundheitsprognose dahingehend indiziert, dass von zukünftigen krankheitsbedingten Ausfällen des Klägers in entsprechendem Umfang auszugehen ist. Diese negative Prognose hat der Kläger nicht substantiiert erschüttert oder widerlegt. Auch die zweite Stufe der Prüfung betreffend das Vorliegen erheblicher betrieblicher Beeinträchtigungen ist ohne weiteres dadurch erfüllt, dass die Beklagte in den Jahren 2016 bis 2018 jeweils Entgeltfortzahlung im Umfang von mehr als 42 Kalendertagen geleistet hat.

Die in der dritten Prüfungsstufe vorzunehmende Interessenabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Interesse des Arbeitnehmers an seiner Fortsetzung umfasst die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme unter Berücksichtigung der Frage, ob ein bEM ordnungsgemäß durchgeführt worden ist oder objektiv sinnlos war sowie unter Berücksichtigung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren weder zur Überzeugung der Kammer darlegen können, aus welchen Gründen das durchgeführte bEM gescheitert ist noch aus welchen Gründen seine ordnungsgemäße Durchführung objektiv sinnlos gewesen wäre.

Im Hinblick auf das im Jahr 2017 durchgeführte bEM ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die erfolgreiche Maßnahme des Einsatzes des Klägers im Flughafenbereich C1/C2 mit weniger oder gar keinem Publikumsverkehr abgebrochen wurde und nicht fortgesetzt werden konnte. Dass die Maßnahme positive Auswirkungen hatte, ist angesichts des Umstandes offensichtlich, dass der Kläger während dieser drei Monate an keinem Tag krankheitsbedingt gefehlt hat. Soweit die Beklagte ausgeführt hat, ein nur befristeter Einsatz in diesem Flughafenbereich werde “immer so” durchgeführt und folge einer Rotation der Mitarbeiter, hat sie trotz insoweit erfolgter Beanstandung durch das Arbeitsgericht auch im Berufungsverfahren nicht näher dargelegt, aus welchen Gründen regelmäßig nur befristet für drei Monate ein Arbeitsplatz im Flughafenbereich C1/C2 angeboten werden kann. Hinsichtlich der behaupteten Rotation der Arbeitnehmer hat sie auch im Berufungsverfahren nicht näher dargelegt, auf welche Weise eine solche Rotation organisiert ist und tatsächlich stattfindet. Sie hat weder angegeben, welcher Arbeitnehmer vor oder nach dem Kläger am gleichen Arbeitsplatz eingesetzt war noch ob und gegebenenfalls welche Gründe gegen die Fortsetzung seiner Tätigkeit im Bereich C1/C2 gesprochen hätten. Die Kammer geht deshalb davon aus, das ein objektiver Grund für die Befristung der Maßnahme nicht vorliegt.

Nach dem Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Kläger – trotz nicht festgestellter Schwerbehinderung oder Gleichstellung – nicht auf einem der Schonarbeitsplätze eingesetzt werden könnte, die nach Maßgabe der Inklusionsvereinbarung im Betrieb der Beklagten für deren schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer vorgehalten werden. Nach den Angaben der Beklagten im Berufungsverfahren sind zwar in der Anlage 2 zur Inklusionsvereinbarung für den Standort Tegel insgesamt nur 21 Schonarbeitsplätze vorgesehen, aus der Anlage B 9 ergibt sich jedoch, dass tatsächlich insgesamt 28 Schonarbeitsplätze für schwerbehinderte Arbeitnehmer vorhanden sind, die im Hinblick auf das Schichtsystem mit 41 Arbeitnehmern besetzt werden können. Nach der weiter vorgelegten Liste in der Anlage B 7 der Beklagten sind am Flughafen Tegel lediglich 34 schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer auf diesen Schonarbeitsplätzen eingesetzt, so dass jedenfalls sieben Schonarbeitsplätze zusätzlich vorhanden sein dürften. Solange diese nicht im Rahmen der Inklusionsvereinbarung durch schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer besetzt werden, ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen sie nicht dem Kläger angeboten werden könnten.

Schließlich ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Kündigung am 03.12.2018 durch die Betriebsratsanhörung zu einem Zeitpunkt eingeleitet wurde, zu dem der Kläger nach der Arbeitszeitreduzierung auf 140 Stunden monatlich seit dem 01.10.2018 mit 5 Arbeitstagen verhältnismäßig wenig krankheitsbedingt gefehlt hat. Aus welchen Gründen es der Beklagten seit Beginn der Arbeitszeitreduzierung im Oktober 2018 nicht zuzumuten gewesen sein sollte, den jedenfalls kurzfristig eingetretenen Erfolg auf eine längerfristige Dauer zu überprüfen, ist nicht nachvollziehbar. Der Umstand, dass der Kläger tatsächlich nach Ausspruch der Kündigung ab dem Monat Januar 2019 durchgehend bis zur Entscheidung im Berufungsverfahren Anfang Dezember 2019 arbeitsunfähig erkrankt war, ist dabei nicht zu berücksichtigen, da es ausschließlich auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung ankommt. Eine nach der Kündigung eingetretene weitere Erkrankung kann zwar für die Bestätigung einer negativen Prognose berücksichtigt werden (BAG, 13.05.2004 – Az: 2 AZR 36/04), bei der Interessenabwägung jedoch nicht.

Die objektive Nutzlosigkeit eines ordnungsgemäßen bEM kann vor dem Hintergrund des teilweisen Erfolges der durchgeführten bEM-Maßnahmen ersichtlich nicht festgestellt werden.

LAG Berlin-Brandenburg, 04.12.2019 – Az: 23 Sa 1046/19

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