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Rechtsstand:

Rechte bei Wiedereingliederung schwerbehinderter Personen

Neue Rechtsprechung unterstützt stufenweise Wiedereingliederung schwerbehinderter Arbeitnehmer durch einstweilige Verfügung.

In einem aktuellen Fall hat das Arbeitsgericht Aachen über die stufenweise Wiedereingliederung eines langjährigen Mitarbeiters entschieden, der nach einer schweren Erkrankung (Hirntumor) zurück in das
Berufsleben strebt. Schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Arbeitnehmer können ihren Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nicht nur fordern, sondern auch mittels einstweiliger Verfügung durchsetzen. Dieses Vorgehen stützt sich auf die gesetzlichen
Regelungen des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, kombiniert mit den prozessualen Möglichkeiten des § 62 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit den §§ 935 ff. ZPO.

Hintergrund des Falles

Der Kläger, seit 1988 als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig, steht kurz vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze am 31.10.2024. Nach erfolgreicher Behandlung seiner Erkrankung und mit einem anerkannten Grad der Behinderung von 90, unterstützt durch einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan, sah sich der Kläger mit der Ablehnung des Arbeitgebers konfrontiert, die stufenweise Wiedereingliederung zu ermöglichen.

Rechtliche Grundlagen der stufenweisen Wiedereingliederung

Die rechtliche Basis für die stufenweise Wiedereingliederung schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Arbeitnehmer findet sich in § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Dieser Paragraph verpflichtet den Arbeitgeber, an der Wiedereingliederung mitzuwirken, sofern ein ärztlicher Plan vorgelegt wird,
der die Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung detailliert darlegt. Im Gegensatz zur allgemeinen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die eine Mitwirkung des Arbeitgebers an der Wiedereingliederung grundsätzlich als freiwillig ansieht, ergibt sich hier eine bindende Verpflichtung für den Arbeitgeber.

Das Argument der Eilbedürftigkeit

Der Kläger argumentierte die Notwendigkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes mit dem drohenden endgültigen Rechtsverlust und dem starken Interesse, möglichst zeitnah nach Therapieende wieder ins
Berufsleben einzusteigen. Die Eilbedürftigkeit, ein zentrales Element im einstweiligen Verfügungsverfahren gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 935 ff. ZPO, wurde vom Kläger erfolgreich dargelegt und vom Gericht anerkannt. Das bedeutet, dass bei dringenden Fällen, in denen eine Verzögerung der Wiedereingliederung dem Arbeitnehmer erheblichen Schaden zufügen würde, schnell
und effektiv rechtlich interveniert werden kann.

Die Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung ergibt sich direkt aus dem Beschäftigungsinteresse des behinderten Arbeitnehmers. Das Gesetz erkennt an, dass das Interesse an der Teilhabe am Erwerbsleben in der Regel schwerwiegender ist als andere betriebliche Interessen, was in § 164 Abs. 4 SGB IX festgehalten ist.

Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht gab dem Verfügungsantrag des Klägers statt. Es wertete den ärztlichen Wiedereingliederungsplan, der die graduelle Rückkehr zur Arbeit vorsah, als ausreichende Grundlage für die verpflichtende Mitwirkung des Arbeitgebers. Auch wurde aufgezeigt, dass trotz der vorübergehenden Fahruntüchtigkeit des Klägers sinnvolle Bürotätigkeiten von ihm übernommen werden könnten. Somit wurde der Arbeitgeber verpflichtet, den Kläger gemäß dem Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen.

Fazit

Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX für die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer und zeigt auf, wie das einstweilige Verfügungsverfahren als wirksames Mittel zur Durchsetzung dieser Rechte genutzt werden kann. Es ist ein wichtiger Präzedenzfall für ähnliche Fälle in der Zukunft und ein Sieg für die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben. Die Entscheidung bestätigt nicht nur die Rechte schwerbehinderter Personen auf eine faire und angemessene Wiedereingliederung, sondern stellt auch klar, dass die Gerichte bereit sind, diese Rechte aktiv zu
schützen und durchzusetzen.

Dieser Beitrag richtet sich an Arbeitnehmer, insbesondere schwerbehinderte oder gleichgestellte Personen, sowie an alle, die sich für die Rechte von Arbeitnehmern im Rahmen des Arbeitsrechts interessieren. Er soll helfen, die rechtlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der stufenweisen
Wiedereingliederung besser zu verstehen und bei Bedarf rechtlich fundiert zu handeln.

Quelle: ArbG Aachen v. 12.03.2024 – 2 Ga 6/24