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Rechtsstand:

Leiharbeit: Wie lange ist ‚vorübergehend‘?

Arbeitnehmerüberlassung und die tariflich verlängerte Überlassungsdauer


Nach § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) kann in einer Betriebsvereinbarung, die aufgrund eines Tarifvertrags nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG getroffen wird, eine abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden.

Eine auf dieser Grundlage geschlossene Betriebsvereinbarung muss eine konkrete zeitliche Grenze festlegen, durch die der „vorübergehende“ Charakter der Arbeitnehmerüberlassung iSd. § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG gewahrt wird. Dies ergibt die Auslegung der gesetzlichen Regelung.

§ 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG nennt zwar keine Obergrenze für die abweichende Überlassungshöchstdauer. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss eine solche aber in der maßgebenden Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Dies erfordert die konkrete Benennung einer Überlassungshöchstdauer.

Die festgelegte Überlassungshöchstdauer muss so bemessen sein, dass sie nach § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG iVm. Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG als „vorübergehend“ anzusehen ist. Die Überlassung von Arbeitnehmern ist nach § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG nur vorübergehend zulässig. Dies dient der Umsetzung von Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG, wonach Leiharbeitnehmer vorübergehend anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Mit der Regelung in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG hat der Gesetzgeber „vorübergehend“ für den Regelfall konkretisiert und die weitere Ausgestaltung – im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben – in § 1 Abs. 1b Satz 3 und Satz 5 AÜG den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche und – auf Grundlage eines solchen Tarifvertrags -den Betriebsparteien überlassen.

Durch eine Betriebsvereinbarung iSd. § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG wird die zulässige Überlassungshöchstdauer nicht nur für die Entleiherin als Betriebspartei, sondern zugleich für die überlassenen Leiharbeitnehmer und die Verleiherin geändert. Die Zuordnung der Regelungsmacht an die Betriebsparteien des Einsatzbetriebs folgt aus der Zuweisung der tariflichen Regelungsmacht an die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG. Eine auf dieser Grundlage geschlossene Betriebsvereinbarung soll die gleichen Auswirkungen wie der ihr zugrunde liegende Tarifvertrag nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG haben.

Nach dem gesetzgeberischen Konzept soll ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung nach § 1 Abs. 1b Satz 3 oder Satz 5 AÜG einheitlich die Überlassungshöchstdauer für alle an der Überlassung Beteiligten, mithin Entleiherin, Verleiherin und Leiharbeitnehmer ändern. Weder in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG noch in § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG wird zwischen Entleih- und Verleihdauer unterschieden. Die in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG vorgenommene Differenzierung zwischen der zulässigen Verleih- und Entleihdauer, die der Verdeutlichung der jeweiligen Pflichtenstellungen dient, findet sich in Satz 3 und Satz 5 nicht wieder. Diese verweisen – wie § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG – nicht lediglich auf einen der Halbsätze des § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG, sondern auf Satz 1 insgesamt. Auch der Gesetzgeber geht von „einer Überlassungshöchstdauer“ aus.

Die Ausgestaltung der § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG zugrunde liegenden Regelung in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG, die die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche zum Abschluss von Tarifverträgen, die eine vom Gesetz abweichende Überlassungshöchstdauer vorsehen, ermächtigt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

BAG, 14.09.2022 – Az: 4 AZR 26/21