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Rechtsstand:

Fremdfirma im Betriebsrat? Ja, sagt BAG!

Unternehmensfremdes Betriebsratsmitglied im Gesamtbetriebsrat?

Der Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebs kann in den Gesamtbetriebsrat eines Trägerunternehmens auch Mitglieder entsenden, die in keinem Arbeitsverhältnis zu diesem Unternehmen stehen.

Hierzu führte das Gericht aus:

Für den Fall der Entsendung von Vertretern eines Gemeinschaftsbetriebsrats in einen Konzernbetriebsrat – also zu § 54 Abs. 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) – hat der Senat bereits entschieden, dass der im Gemeinschaftsbetrieb gewählte Betriebsrat auch unternehmensfremde Betriebsratsmitglieder entsenden kann. Die Interessen der in dem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer werden von allen Mitgliedern des im Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrats – unabhängig von ihrer Unternehmenszugehörigkeit – vertreten (vgl. BAG 29.07.2020 – Az: 7 ABR 27/19). Entsprechendes gilt für die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG. Nach dieser Vorschrift kann ein Betriebsrat jedes seiner Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsenden. Die Norm ist nicht (einschränkend) dahingehend auszulegen, dass die aus einem Gemeinschaftsbetrieb in den Gesamtbetriebsrat entsandten Mitglieder dem Trägerunternehmen, bei dem der Gesamtbetriebsrat errichtet ist, auch angehören – also zu diesem in einem Arbeitsverhältnis stehen – müssen.

Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Der Wortlaut gibt nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine Indizwirkung zu.

Bereits der Wortlaut von § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG spricht gegen ein einschränkendes Verständnis der Norm in dem Sinn, die Entsendung eines Betriebsratsmitglieds in den Gesamtbetriebsrat setze voraus, dass dieses in einem Arbeitsverhältnis mit dem Trägerunternehmen, bei dem der Gesamtbetriebsrat zu errichten ist, steht. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsendet jeder Betriebsrat eines oder mehrere seiner Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat. Die Entsendung ist nach der textlichen Normfassung demnach nur mit der Mitgliedschaft im Betriebsrat verknüpft; weitere Maßgaben sind nicht formuliert.

Es stellt keinen Bruch im System des Betriebsverfassungsgesetzes dar, wenn ein Mitglied des Betriebsrats eines Gemeinschaftsbetriebs in den Gesamtbetriebsrat eines Unternehmens, das nicht sein Vertragsarbeitgeber ist, entsandt werden kann.

Vielmehr entspricht diese Möglichkeit gerade dem gesetzlichen Prinzip der Gesamtbetriebsratsbildung. Nach diesem wird der Gesamtbetriebsrat durch Mitglieder legitimiert, die aus allgemeinen Betriebsratswahlen hervorgegangen sind. An diesen Wahlen sind in Gemeinschaftsbetrieben Arbeitnehmer unterschiedlicher Vertragsarbeitgeber deshalb beteiligt, weil sie einem Betrieb zugeordnet sind, dessen Führung ihr Vertragsarbeitgeber gemeinsam mit anderen ausübt. Infolgedessen kann sich der Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebs aus Mitgliedern zusammensetzen, die unterschiedliche Vertragsarbeitgeber haben. Eine hieraus resultierende Entsendemöglichkeit unternehmensfremder Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat der jeweiligen Trägerunternehmen folgt konsequent der unternehmerischen Entscheidung zur Betriebsführung und behält das Prinzip der durch das aktive Wahlrecht vermittelten Einflussnahme auf die Arbeitnehmerrepräsentation auf der Unternehmensebene bei. Die gegenteilige Ansicht vernachlässigt, dass diese unternehmensbezogene Arbeitnehmerrepräsentation gremien- und nicht mitgliederbezogen ist.

Dieses Prinzip setzt sich auf Konzernebene fort. Der Konzernbetriebsrat, in den jeder Gesamtbetriebsrat der Konzernunternehmen nach § 55 Abs. 1 BetrVG zwei seiner Mitglieder entsendet, besteht bei der Konzernobergesellschaft. Auch Konzernbetriebsratsmitglieder müssen in keinem Arbeitsverhältnis mit der Konzernobergesellschaft stehen. Besonders deutlich wird dies bei Konzernunternehmen, in denen kein Gesamtbetriebsrat, sondern allein ein Betriebsrat in einem Gemeinschaftsbetrieb besteht. Ein solcher Betriebsrat entsendet nicht für jedes konzernangehörige Trägerunternehmen, in dem kein weiterer Betriebsrat gebildet ist, zwei seiner Mitglieder in den Konzernbetriebsrat, sondern insgesamt zwei seiner Mitglieder.

Der Betriebsverfassung liegt auch – anders als der zu 1. beteiligte Betriebsrat offensichtlich meint – kein System zugrunde, wonach die gremienbezogene Wahrnehmung von Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten an eine Selbstbetroffenheit der (Gesamt-)Betriebsratsmitglieder gebunden ist. Die gesetzliche Betriebsverfassung gestaltet die organisierte Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf betriebs-, unternehmens- und konzernbezogener Ebene durch die Einrichtung von Arbeitnehmervertretungen, denen bestimmte Kompetenzen zugewiesen sind. Diese bestimmen sich nach der Behandlung einer die Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernebene betreffenden „Angelegenheit“ und nicht etwa nach einer „überwiegenden Betroffenheit“ der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzern„belegschaft“. Entsprechend ist der Gesamtbetriebsrat nach Maßgabe von § 50 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrVG auch für Betriebe ohne Betriebsrat zuständig; er ist ebenso für Angelegenheiten zuständig, wenn mehrere, nicht aber sämtliche Betriebe betroffen sind. Vor allem letzterer Kompetenzvorgabe ist immanent, dass ein nicht selbst betroffenes (einem anderen Betrieb zugehöriges) Gremienmitglied an der Ausübung der Mitbestimmungsrechte des Gesamtbetriebsrats beteiligt ist.

Es verbietet sich zudem aus teleologischen Gründen, dem Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebs die Entsendefähigkeit unternehmensfremder Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat eines Trägerunternehmens abzusprechen. Der Gesamtbetriebsrat soll die Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungen des Arbeitgebers sichern, die ausschließlich auf Unternehmensebene getroffen werden und deren Auswirkungen nicht auf einen von mehreren Betrieben begrenzt sind. Auch für Gemeinschaftsbetriebe werden Entscheidungen auf Ebene der Trägerunternehmen getroffen; sie beeinflussen direkt oder nach Absprache mit den weiteren Trägerunternehmen die Arbeitsbedingungen der in dem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Dieser Zweck der Errichtung eines Gesamtbetriebsrats wäre gefährdet für den Fall, dass kein Arbeitnehmer des Trägerunternehmens, für welches der Gesamtbetriebsrat zu errichten ist, in den Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs gewählt wurde. Den unternehmensangehörigen Arbeitnehmern des Gemeinschaftsbetriebs würde dann die Möglichkeit der Beteiligung an Entscheidungen des Arbeitgebers auf Unternehmensebene genommen.

Schließlich verfängt die Argumentation nicht, eine Entsendemöglichkeit von unternehmensfremden Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat scheide (auch) zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten aus. Der zu 1. beteiligte Betriebsrat meint, ein Gesamtbetriebsrat, dem Delegierte von Gemeinschaftsbetrieben angehörten, „könne ausschließlich Inhaltsnormen, nicht aber Betriebsnormen beschließen, denn bei einer Zuständigkeit eines oder mehrerer Gesamtbetriebsräte der beteiligten Unternehmen bestünde ansonsten die Gefahr, dass widersprüchliche Gesamtbetriebsratsentscheidungen unterschiedliche Betriebsnormen bewirkten“. Mit dieser Argumentation verkennt er aber, dass die Regelungskompetenz des Gesamtbetriebsrats aus seiner gesetzlich festgelegten Zuständigkeit folgt. Sofern die Rechtsbeschwerde auf die Problematik der Geltung ggf. konkurrierender Gesamtbetriebsvereinbarungen im Gemeinschaftsbetrieb abheben sollte, ist diese keine Folge der konkreten personellen Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats. Sie ist vielmehr in dem mehrfachen, auf die Gesamtbetriebsräte aller Trägerunternehmen bezogenen Entsendungsrecht des in einem Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrats angelegt. Weitere Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst; die Auflösung einer „Konkurrenz“ von Gesamtbetriebsvereinbarungen im Gemeinschaftsbetrieb ist nicht Verfahrensgegenstand.

Die Mitgliedschaft eines unternehmensfremden Betriebsratsmitglieds im Gesamtbetriebsrat des Trägerunternehmens eines gemeinsamen Betriebs verbietet sich nicht aus daten- oder geheimnisschutzrechtlichen Gründen. Die entsprechenden Pflichten für (Gesamt-)Betriebsratsmitglieder nach § 79 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG – sowie ggf. nach § 79a BetrVG – gelten auch insoweit uneingeschränkt.

BAG, 01.06.2022 – Az: 7 ABR 41/20