Mehr Infos
Anwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht
Rechtsstand:

Betriebsrat-Wahl: So geht’s richtig!

Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat
Die erstmalige Wahl von Arbeitnehmervertretern zum Aufsichtsrat in einer bislang aufsichtsratslosen Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist ohne vorherige Durchführung des aktienrechtlichen Statusverfahrens nichtig.

Hierzu führte das Gericht aus:

Die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer ist wegen der damit verbundenen weitreichenden Folgen nur in besonderen Ausnahmefällen nichtig. Von einem solchen Ausnahmefall ist auszugehen, wenn bei der Wahl gegen fundamentale Wahlgrundsätze in so hohem Maße verstoßen wurde, dass nicht einmal mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vorliegt, oder die Voraussetzungen für die Wahl nicht vorliegen, beispielsweise, weil die erstmalige Wahl der Arbeitnehmervertreter ohne vorheriges Statusverfahren durchgeführt wurde.

Für die am 30./31. Juli 2019 durchgeführte, erstmalige Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat fehlt es an der Voraussetzung des Statusverfahrens nach §§ 97 ff. AktG. (Aktiengesetz) Dieses hätte vor der Einleitung der Wahl – ungeachtet eines in diesem Zeitpunkt nicht bestehenden Streits über das einschlägige Mitbestimmungsstatut – durchgeführt werden müssen. Ohne seine vorherige Durchführung ist eine nach Maßgabe des MitbestG durchgeführte Wahl von Arbeitnehmervertretern für den Aufsichtsrat bei einer – wie hier – bisher aufsichtsratslosen GmbH nichtig.

Die Durchführung des Statusverfahrens der §§ 97 ff. AktG vor einer Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach Maßgabe des MitbestG ist bei einer bisher aufsichtsratslosen GmbH mitbestimmungs- und aktienrechtlich vorgegeben.

Nach § 1 Abs. 1 MitbestG (Mitbestimmungsgesetz) haben in Unternehmen, die ua. in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben werden und in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen, die Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht nach Maßgabe des MitbestG. Nach § 6 Abs. 1 MitbestG ist bei den in § 1 Abs. 1 MitbestG bezeichneten Unternehmen – soweit sich dies nicht schon aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt – ein Aufsichtsrat zu bilden. Eigenständige Bedeutung hat diese Vorschrift im Wesentlichen für die GmbH, da Aktiengesellschaften (§§ 95 ff. AktG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (§ 278 Abs. 3 iVm. §§ 95 ff. AktG) sowie Genossenschaften (§ 9 Abs. 1 GenG)-(Genossenschaftsgesetz) bereits nach den einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Aufsichtsratsbildung verpflichtet sind. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG bestimmen sich die Bildung und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach den §§ 7 bis 24 des MitbestG und, soweit sich dies nicht schon aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt, nach § 96 Abs. 4, den §§ 97 bis 101 Abs. 1 und 3 und den §§ 102 bis 106 des Aktiengesetzes (AktG) mit der – hier nicht einschlägigen – Maßgabe hinsichtlich der Wählbarkeit eines Prokuristen als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer. § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG verweist – anders als der wörtliche Ausdruck von § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG (Drittelbeteiligungsgesetz) – nicht nur für die Zusammensetzung, sondern auch für die „Bildung“ des Aufsichtsrats auf das Statusverfahren nach § 96 Abs. 4 bis § 99 AktG. § 27 EGAktG (Einführungsgesetz zum Aktiengesetz) bestimmt, dass die unmittelbar nur für Aktiengesellschaften geltenden § 96 Abs. 4, §§ 97 bis 99 AktG ua. auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung sinngemäß anzuwenden sind. Aus all dem folgt, dass stets und ungeachtet eines Streits über die Voraussetzungen der Anwendung des MitbestG das Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG durchzuführen ist, bevor in einer GmbH erstmals der nach dem MitbestG obligatorische Aufsichtsrat gebildet und eine Wahl von Arbeitnehmern als Aufsichtsratsmitglieder eingeleitet wird.

Entsprechendes folgt aus Normzweck und Regelungsgegenstand der Bestimmungen zum Status-(oder Überleitungs-)verfahren von §§ 97 bis 99 AktG.

Das strikt formalisierte Verfahren dient der Feststellung der richtigen Zusammensetzung des Aufsichtsrats und gewährleistet die sichere Überleitung von einem Mitbestimmungsmodell in ein anderes. Hierfür wird in einem ersten Schritt geklärt, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, wozu entweder eine Bekanntmachung gemäß § 97 Abs. 1 AktG oder die Beantragung einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 98 AktG erfolgt. In dem darauffolgenden zweiten Schritt wird die Zusammensetzung des Aufsichtsrats verändert. Der Aufsichtsrat ist auch dann nicht nach den für ihn maßgebenden gesetzlichen Vorschriften „zusammengesetzt“, wenn in einer GmbH ein solcher trotz obligatorischer Bildung nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften nicht besteht. Damit umfasst das Statusverfahren der §§ 97 bis 99 AktG aber auch die Klärung der Frage, ob bei einer GmbH überhaupt ein mitbestimmter Aufsichtsrat zu bilden ist.

Diese Klärung hängt nach der gesetzlichen Konzeption nicht vom Bestehen eines irgendwie gearteten Streits über das anzuwendende Mitbestimmungsstatut ab.

§ 97 AktG sieht ein einzuleitendes außergerichtliches Verfahren vor, das ergänzt wird durch die nach §§ 98, 99 AktG auf Antrag bestimmter Antragsberechtigter ergehende gerichtliche Entscheidung. Allein das gerichtliche Verfahren ist gemäß § 98 Abs. 1 AktG daran gebunden, dass „streitig oder ungewiss“ ist, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist. Es kommt nur dann zum Zuge, wenn die vorangegangene Bekanntmachung innerhalb Monatsfrist angegriffen wird oder insgesamt ausbleibt. Die Voraussetzung des Bestehens eines Streits oder einer Ungewissheit betrifft also von vornherein nur das gerichtliche Verfahren. Sie ist im Übrigen – ungeachtet differenzierter Ansichten im aktienrechtlichen Schrifttum – jedenfalls dann erfüllt, wenn eine Bekanntmachung iSd. § 97 AktG trotz mitbestimmungsrechtlich obligatorischer Aufsichtsratsbildung unterbleibt.

Sieht die Geschäftsführung einer bislang aufsichtsratslosen GmbH für die Bildung eines Aufsichtsrats nach dem MitbestG (oder DrittelbG) keine Veranlassung und leitet sie kein Verfahren nach § 97 AktG ein, können ua. der Gesamtbetriebsrat oder der Betriebsrat nach § 98 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 6 AktG eine gerichtliche Entscheidung in einem Statusverfahren nach § 98 Abs. 1 AktG beantragen. Die Errichtung des Aufsichtsrats und ihre etwaige Erzwingung folgen somit eigenen Regeln, wonach sie auch beim mitbestimmungsrechtlich obligatorischen Aufsichtsrat einer GmbH den statusverfahrensrechtlichen Besonderheiten unterliegen und in diesem speziellen Verfahren gesetzlich durchsetzbar konstruiert sind. Das Verfahren ist selbst dann durchzuführen, wenn sich alle Beteiligten über die Auslegung der (mitbestimmungs-)gesetzlichen Grundlagen einig sind .

Gegenteiliges folgt nicht aus der von ihnen herangezogenen Senatsentscheidung vom 16. April 2008 (Az: 7 ABR 6/07). Der zu dieser Entscheidung verfasste Leitsatz – wonach bei einem Streit zwischen einem Unternehmen und dem Gesamtbetriebsrat oder Betriebsrat, ob bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH nach den Bestimmungen des Drittelbeteiligungsgesetzes ein Aufsichtsrat zu bilden ist, vor der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer ein Statusverfahren nach § 27 EGAktG, § 98 Abs. 1 AktG vor dem dafür allein zuständigen Landgericht durchgeführt werden muss – nimmt die konkrete Konstellation des entschiedenen Verfahrens in den Blick. Seine Formulierung bezieht sich allein auf den gerichtlichen Teil des Statusverfahrens (§ 98 AktG) und beinhaltet keinen – quasi im „Umkehrschluss“ aufgestellten – Rechtssatz, es bedürfe keines Statusverfahrens vor der erstmaligen Bildung eines Aufsichtsrats bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH, wenn sich die Beteiligten über das einschlägige Mitbestimmungsstatut nicht streiten. Entsprechend ist der Senat in der Folgezeit unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 16. April 2008 ohne Weiteres davon ausgegangen, dass die erstmalige Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat ohne vorheriges Statusverfahren nichtig ist.

Der in § 96 Abs. 4 AktG verankerte Kontinuitätsgrundsatz streitet ebenso für die zwingende Durchführung eines Statusverfahrens vor der erstmaligen Bildung eines Aufsichtsrats nach dem MitbestG in einer GmbH. Gemäß dieser Vorschrift kann der Aufsichtsrat nach anderen als den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften nur zusammengesetzt werden, wenn nach § 97 AktG oder nach § 98 AktG die in der Bekanntmachung oder in der gerichtlichen Entscheidung angegebenen gesetzlichen Vorschriften anzuwenden sind. Die Bestimmung gewährt dem Aufsichtsrat einen Bestandsschutz und dient der Rechtssicherheit, indem dessen Funktionsfähigkeit und Kontinuität sichergestellt ist. Demnach führt selbst ein unstreitiger Wechsel des anwendbaren Mitbestimmungsregimes nicht dazu, dass ohne Statusverfahren eine Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats durchgeführt werden darf. Im Rahmen der nach § 27 EGAktG gebotenen sinngemäßen Anwendung des § 96 Abs. 4 AktG auf die GmbH bedeutet dies, dass in einer aufsichtsratslosen Gesellschaft nach dem Kontinuitätsprinzip grundsätzlich kein Aufsichtsrat zu bilden ist, solange nicht aufgrund eines Statusverfahrens feststeht, dass dieser sich nach dem MitbestG – oder dem DrittelbG – zusammensetzt. Ohne Durchführung des formalisierten Statusverfahrens kommt es zu keiner verbindlichen Bildung (oder Anpassung) des (bestehenden) Aufsichtsrats, falls der obligatorische Aufsichtsrat nicht besteht (oder falsch zusammengesetzt ist).

Für die Notwendigkeit der Durchführung eines Statusverfahrens vor der erstmaligen Bildung eines Aufsichtsrats nach dem MitbestG spricht schließlich § 37 Abs. 1 MitbestG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift treten andere als die in § 97 Abs. 2 Satz 2 AktG bezeichneten Bestimmungen der Satzung (des Gesellschaftsvertrags), die mit den Vorschriften des MitbestG nicht vereinbar sind, mit dem in § 97 Abs. 2 Satz 2 AktG bezeichneten Zeitpunkt oder, im Fall einer gerichtlichen Entscheidung, mit dem in § 98 Abs. 4 Satz 2 AktG bezeichneten Zeitpunkt außer Kraft. Diese gesetzlichen Zeitpunkte knüpfen ihrerseits an die Beendigung des Statusverfahrens an. Ohne ein solches träte der in § 37 Abs. 1 MitbestG bezeichnete Zeitpunkt nicht ein.

BAG, 09.02.2023 – Az: 7 ABR 6/22